P E R F O R M I N G A R T S F O R F U T U R E 04. - 06. November 2022 im Jugendzentrum Pumpe, Berlin
Flyer:
Performing Arts for Future! - Bericht von Ilona Hieronymus
„Performing Arts for Future!“, angelehnt an das bekannte Motto „Fridays for Future“, war das Thema des Kongresses, den der Bundesverband Theater in Schulen vom 04. - 06.11.2022 im Jugendkulturzentrum Pumpe in Berlin abhielt. Die Teilnehmer:innen waren eingeladen, sich mit Fragen zur Transformation des Systems Schule und der gesamten Gesellschaft auseinanderzusetzen, mit transkulturellem, global-lokalem und inklusivem Schultheater und mit der Frage, wie dabei echte Partizipation gelingen kann.
Angekündigt war ein umfangreiches, viel versprechendes Programm mit dem großen Ziel, Raum zu schaffen für innovative Anregungen für die praktische Schultheaterarbeit und für den bundesweiten Erfahrungsaustausch von Lehrkräften aller Schulformen. Nach einer kurzen Begrüßung durch die Veranstalter:innen wurde das Programm mit „Silent Songs ̶ Rehearsals for a Changing World“ gestartet, dem Auftritt der Theaterkünstlerin Christiane Huber aus München. Anders als in der Überschrift angekündigt, blieb diese Inszenierung nicht ruhig. Mit einem Gerät, welches die Aktionskünstlerin schwungvoll durch den Raum trug und das laute, wiederkehrende Alarmsignale von sich gab, wurde der unkonventionelle Vortrag geschickt eingeleitet. Anschließend brach die Künstlerin weitere gewohnte Strukturen auf: Ohne Rednerpult oder Mikrofon saß Christine Huber mitten im Publikum und vermied, über eigene Verdienste zu sprechen. So entstand ein Raum des Miteinander statt des klassischen Machtgefälles zwischen Redner:in und Publikum. Wir Zuhörer erlebten ein Gefühl der Irritation, ein Stück Aktionismus mit künstlerischen Mitteln.
Durch das Brechen akustischer Gewohnheiten wurden wir, das ans passive Hören gewöhnte Publikum, stilvoll und doch provokativ zum aktiven Zuhören aufgefordert und so ein Ausgangspunkt für politische Intervention geschaffen. Anhand weiterer Beispiele aus Alltag und Kunstszene beschrieb Christine Huber anschaulich solche Interventionen und forderte uns auf, unsere Fähigkeiten des Zuhörens mit unserer Nebenfrau/unserem Nebenmann auszuprobieren. Zum Abschluss gab es noch ein interessantes Zuhörkonzert. Wir erlebten einen sehr gelungenen Auftakt des Kongresses, der auf lebendige und partizipative Weise zeigte, wie man im Theater neue Räume erschließen und vor allem auf kritische Themen wie Klimawandel oder Ausgrenzung ̶ künstlerisch geschickt verpackt ̶ aufmerksam machen kann. Derartige performative Verfahren eignen sich in besonderer Weise für Themen, die Schüler:innen und der gesamten Gesellschaft auf den Nägeln brennen und die unsere Zukunft entscheidend prägen werden.
Das weitere Programm leitete über zur Schulpraxis. Nach dem Abendessen hörten wir einen Vortrag zu „FUTURE.LAB Schule 2030“ von Sina Kuhlins, Simone Neuroth, Nicole Lotzkat und einigen Schülerinnen, die an diesem Großprojekt teilgenommen hatten. „FUTURE.LAB“ wurde in der Stadt und dem Landkreis Darmstadt durchgeführt und bestand aus einer Kooperation von Schüler:innen aus verschiedenen Schulformen und Jahrgangsstufen mit Künstler:innen unterschiedlicher Sparten (Kunst, Video, Theater/Tanz, Performance und Kreatives Schreiben), die über mehrere Monate lief.
Auch hier war der Vortrag unkonventionell. Der Bühnenraum wurde komplett aufgebrochen. Im gesamten Raum waren Stühle verteilt. Darauf lagen verschiedenfarbige Zettel, auf die Schulfächer aufgedruckt waren. Wir wurden aufgefordert, unsere Augen zu schließen und von allen Seiten immer lauter werdende Stimmen wahrzunehmen, Aussagen zum Schultheater: „Zu teuer. Jede Menge Probleme! Wie soll ich das nur schaffen? ...“ Man fühlte sich in seinen Alltag hineinversetzt. Das, womit man sich jeden Tag aufs Neue als (Theater-)Lehrkraft auseinandersetzen muss: Der Kampf um Gelder, die Überwindung von Klischees, die Bearbeitung von Missstimmungen, die Auseinandersetzung mit Überehrgeiz und Hierarchien. Anschließend durften wir selbst zu Wort kommen, konnten uns zu Fragen wie „Tafel oder Whiteboard?“ positionieren und unsere Meinung begründen.
Danach kreierten wir als fachbezogene Kleingruppen jeweils ein Standbild zu unserer Vision einer Schule der Zukunft. Nach einem liebevollen Kurzvortrag der Schüler:innen und Lehrkräften zur Umsetzung des Projekts „FUTURE.LAB“ bewunderten wir in einem Gallery Walk unsere Werke. Abschließend entschied die Lostrommel, welche offenen Fragen noch behandelt werden sollten. Das Vortragsteam befasste sich in unterhaltsamer Form damit. Dabei kamen die Referenten zu dem Schluss, dass die drei wesentlichen Stichwörter für den Erfolg eines derartig umfangreichen Projekts „Schulentwicklung“, „schulübergreifendes Arbeiten“ und „externe Experten“ sind. Ein gelungener Vortrag, der auf ungewöhnliche Weise den Bogen zur Schulpraxis spannte und einen sehr bereichernden Abschluss des ersten Kongresstages darstellte.
Der zweite Tag begann wieder mit Christiane Huber. Ergänzend zu ihrem Vortrag am Tag zuvor bekamen wir nun von ihr die Aufgabe, selbst eine performative Intervention im öffentlichen Raum zu inszenieren. Mit ein wenig Material im Gepäck forderte sie uns auf, in selbstgewählten (Klein-)Gruppen oder allein auf die Straße zu gehen. An einer erdachten „Speakers Corner“ oder einfach auf der Parkbank sitzend sollten wir Passant:innen ansprechen, mit „Ich bin Geschichtensammler:in, ich höre dir zu“, oder wir sollten in ähnlicher Weise als Sprecherchor auftreten.
Es war eine interessante Erfahrung, wie es sich anfühlte, als wir selbst in Aktion traten und die Reaktion der Menschen beobachten, die zufällig und zum Teil zwangsläufig in die Rolle der Zuhörer:innen rutschten. Schade, dass wir nicht alles ausprobieren konnten, aber wir konnten uns gute Vorsätze für zuhause mitnehmen, zum Beispiel für den Fall, dass sich jemand zu uns auf eine Parkbank setzt. Warum dann nicht das seltsame Schweigen brechen und anschließend vor allem zuhören, was die Fremde/der Fremde neben einem zu erzählen hat? Christiane Huber ergänzte ihren Vortrag auf diese Weise mit einem genialen zweiten Teil, der zeigte, wie die am Tag zuvor gewonnenen Erkenntnisse und Einsichten ihren Weg in die Praxis finden können. Die vorab angekündigte gemeinsame Erforschung künstlerischer Formate, die mit bewusster Verwirrung und Verunsicherung im Kontext aktueller gesellschaftspolitischer Themen arbeiten, war rundum erfolgreich.
Nach einer kurzen Kaffeepause konnte man sich nun für den restlichen Vor- und den Nachmittag jeweils für eineinhalb Stunden zweien von vier angebotenen Panels widmen, welche sich alle auf ganz unterschiedliche Art und Weise um die Verbindung von politischer Performance und Schule kümmerten.
Bei einer Dozentin des in Kopenhagen ansässigen Aktivistenkollektivs „Sisters Hope“ konnte man unter dem Titel „Sensuous Learning“ Einblicke in deren Performance-Methode erhalten. Unter der Überschrift „Dare to Share“ setzte sich Uta Plate und ihre Gruppe mit der Frage auseinander, wie Inhalte der Sharing-Bewegung, die das Teilen zum Prinzip macht, theatral ins Spiel gebracht werden können. In dem Panel „Stop Exclusion ̶ Start Inclusion“ stellte die Dozentin Stana Schenck das EU-Projekt „Me and Your Stories“ vor. Im vierten Panel mit dem Titel „Stop Ecocide ̶ Start Good Living“ konnten die Teilnehmer:innen mit der Künstlergruppe Acteasy e.V. aus Marburg am Beispiel ihrer Performance „Fauna Rising“ erforschen, wie man künstlerisch vermitteln kann zwischen der Zerstörung von Leben und dem, was wir unter einem guten, nachhaltigen Leben verstehen. Nähere Informationen zu den Panels befinden sich auf der Website des BVTS und unter den unten angegebenen Links.
Am späten Nachmittag gab es zum Abschluss des Tages weitere Best-Practice-Beispiele: Vier Theaterprojekte an Schulen unterschiedlicher Art in Hamburg und Berlin wurden vorgestellt. Dabei waren verschiedenste Anlässe und Spielräume die Grundlage der Performances.
In dem ersten von Schülerinnen selbst präsentierten Beispiel stach besonders der Raum heraus. Die Schüler:innen agierten an unterschiedlichen Orte des Schulhauses. Zu sehen war ein Monolog Julias in der Eingangshalle ebenso wie eine gameartige Führung in Maleranzügen durch das Treppenhaus und eine Tanztheaterperformance auf der Bühne.
Im zweiten Beispiel wurde anhand zweier Rahmenerzählungen demonstriert, wie man mit Hilfe des Films „Eine unbequeme Wahrheit“ von Al Gore spannende und interaktive Inszenierungen mit Schüler:innen produzieren kann. Dabei wurden die Zuschauer:innen aufgefordert, in die Rolle von betroffenen Personen zu schlüpfen, um die Inszenierung aktiv zu steuern. Sie nahmen in der einen Rahmenerzählung die Rolle von Geflüchteten ein, indem sie an verschiedenen Orten des Schulhauses Situationen von der Passkontrolle bis zum Aufnahmetest nachspielen mussten. In der anderen Rahmenerzählung wurden sie bei einem Prozess des internationalen Strafgerichtshofes zu Geschworenen und mussten nach demselben Prinzip an unterschiedlichen Stationen einen Fall bearbeiten, um zu einem gemeinsamen Urteil zu gelangen.
Im dritten Beispiel wurden nach dem Prinzip der „one minute sculpture“ des Künstlers Erwin Wurm kurze Handlungsanleitungen mit den Schüler:innen erarbeitet und daraus eine Inszenierung erarbeitet. Dabei lag die Selbstwahrnehmung in fragilen Umgebungen im Fokus und es wurde ein Einblick gewährt in die persönlich gefärbten Erfahrungen eines Schülerlebens. Im letzten Beispiel wurden Berliner Schüler:innen der Willkommensklassen zu Expertinnen und Experten ihrer Fähigkeiten und Kulturen. Für das „Expertencafé“ entwickelten sie einen Vortrag von 3-5 Minuten, den sie zum vereinbarten Termin jeweils an ihrem Tisch präsentierten. Die Themen reichten dabei vom Bauchtanz über bestimmte Musikstücke bis hin zu diversen Rezepttipps. Wenn das Signal ertönte, wanderte das Publikum einen Tisch weiter. Dieser besonders berührende Einblick in anschauliche und anregende Beispiele aus der performativen Schulpraxis bildete den Abschluss dieses Tages.
Der letzte Tag begann mit einem kurzen aktivierenden Warm-up der Veranstalter:innen.
Anschließend wurden die Panels in vier Gruppen reflektiert und abschließend deren Ergebnisse mit Hilfe eines Padlets dargestellt. Dies ließ interessante Einblicke auch in die Panels zu, die man selbst nicht besucht hatte und schaffte Raum zum Austausch.
Zum Schluss bescherte uns eine der Panel-Dozentinnen der Künstlergruppe Sisters Hope aus Dänemark mit einer nun wirklich stillen, einer ‚silent performance‘, einen sehr inspirierenden Eindruck von ihrer Arbeit. In ihrer Inszenierung „Unfold your Poetic Self“ wurde das Publikum aufgefordert, in einer Art Fantasiereise das eigene poetische Ich zu finden. Besonders anregend war dabei die sanfte und doch eindringliche Stimme der Dozentin, die angesichts komplexer Fragestellungen das Bewusstsein auf freie und fantasievolle Gedankenspuren schickte.
Damit endete ein eigenwilliger, bestens mit Inhalten gefüllter Kongress, der mir sicher noch lange in Erinnerung bleiben wird, da er meine Erwartungen bei weitem übertraf.