64. Theatertage der bayerischen Gymnasien, 20. bis 23. Juli 2022 in Aschaffenburg
Schätze in uns
„Erinnere dich!“
Mittelstufen-Theater-AG des Werdenfels-Gymnasiums Garmisch-Partenkirchen unter Leitung von Dr. Heidi Fleckenstein
Schätze in uns
„Erinnere dich!“
Mittelstufen-Theater-AG des Werdenfels-Gymnasiums Garmisch-Partenkirchen unter Leitung von Dr. Heidi Fleckenstein
Menschen sind einheitlich weiß gekleidet, durchnummeriert und registriert. Sie kommunizieren mechanisch, gehorchen einer inneren Konditionierung und sprechen (trotzdem) über Erinnerungen. Welch eine starke Diskrepanz zwischen Äußerem und Innerem! Hierin liegt Konfliktpotenzial. Die kalte Durchstrukturierung und Reglementierung des Lebens wird kontrolliert und durchgesetzt von der Hüterin der Erinnerungen. Ein Mädchen (noch) ohne weißen Anzug klagt, ist also ein Störfall. Es fragt einen Knaben, ob er Angst habe. Das provoziert bei etlichen Menschen den Kleidungswechsel von Weiß zu Schwarz. Sie liegen nun rücklings auf dem Boden und hören live gespielten Mozartklängen zu. Der Pianist (wie Mozart gekleidet) erklärt ihnen, was Musik bedeutet, und sie artikulieren ihre Erinnerungen an Weihnachten, an das Fest der Liebe und an Geburtstage. In dieser Dystopie begegnen sich Weiß und Schwarz, und es prallen Welten aufeinander: Indoktrination und individuelle Rückerinnerungen. Da tanzen die Schwarzen lustvoll mit bunten Schwimmhilfen, lassen die reichlich abgenutzte Titanic-Filmszene von Rose und Jack als „Galionsfiguren“ (zum Glück ohne Musik) wieder aufleben, bedienen abgeleierte Werbesongs, den unvermeidlichen Silvesterknaller „Dinner for One“, den Dauer-Blockbuster „Star Wars“ und eine rasante Achterbahnfahrt. Fragwürdige Erinnerungen. Kleiderwechsel zurück von Schwarz zu Weiß. Nun wird’s heikel: Ein Neugeborenes soll nach den Regeln der Gemeinschaft „entsorgt“ werden. Im Stroboskoplicht geigt dazu ein Mädchen die Melodie aus „Schindlers Liste“. Der Pianist rät Jonas, dem Hauptprotagonisten, zur Flucht. Eine stampfende Suche mit Taschenlampen beginnt. Bei grellem Flackerlicht wird die Gemeinschaft zerstört, in der Emotionen und Erinnerungen keinen Platz hatten. Beim anfänglichen Betreten der Halle sollte das Publikum auf ausgegebene Zettel schreiben, an was es sich gerne erinnert. Diese Reminiszenzen werden zum Schluss von inzwischen bunt gekleideten Jugendlichen auf der Bühne vorgelesen, und zwei Mädchen beenden die Vorstellung mit der Aufforderung ins Publikum gesprochen: „Erinnere dich!“
Ausgangspunkt für die Theaterarbeit war die Lektüre des Jugendbuchs „Hüter der Erinnerungen“ der amerikanischen Autorin Lois Lowry. Einzelne Textfragmente nährten die Grundidee von Handlung und Bühnengestaltung. Eigene Ideen wiesen in eine veränderte Richtung, wobei Gefühle und Erinnerungen Kernsubstanz bleiben sollten wie auch ungeschöntes Aufzeigen von Lebensbedingungen im Totalitarismus. Durch die ungefilterte Fülle von Einfällen litt die Stringenz der Szenenanbindung. Die Aktualität der Vorlage verstärkte das Interesse und ließ das (jugendliche) Publikum begeistert applaudieren.
Wolfram Brüninghaus
Fotos: Programmbroschüre
Fotos: Programmbroschüre