Paradise Lost
„Die Tür“ - Eigenproduktion der Theatergruppe 'Coole Socken' an der Mittelschule Münnerstadt unter Leitung von Peter Reiß
Da ist eine große Holztür auf der Bühne - sonst gar nichts außer einer Projektionswand. Schon ein Statement, das das Publikum noch vor Beginn des Geschehens auf der Bühne zu unterschiedlichsten Vermutungen anregt: Was verbirgt sich dahinter? Ist sie verschlossen? Wohin führt sie? Oder ist sie eine komödienhafte Auf- und Abtrittskulisse? Auf die Antwort müssen wir noch etwas warten.
Und da steht das Mädchen Fibi im grellen Scheinwerferspot und spricht: „Manchmal verfolgt mich dieser eine Gedanke 'Wer bin ich?'“ Aus dem Lautsprecher hören wir seine Gedanken. Keine Angst! Schnell ist eine befürchtete existenzialistische, ausholende Fragenauslotung beendet. Denn andere Kinder treten heran und stellen augenzwinkernd anhand des Ausweises die Personalien fest, die Haarfarbe grün, Haut schuppig, Augenfarbe gelb, sie messen die Körpergröße aus (3,60 m) und die Schuhgröße (43), der Kleidungsstil sei cool und schließlich liest noch eine Wahrsagerin die Zukunft aus der Hand. O weh! Nach diesem launigen Exkurs hören wir aus dem Lautsprecher gedankliche Einwände, das stimme schon alles, aber unbeantwortet bliebe immer noch die Frage: „Wer bin ich, wenn ich mich einsam fühle und alleine bin?“
Fibi sitzt gelangweilt da und spielt mit ihrem Handy. Da! Ein deutlicher Klingelton im Publikum. Rose steht auf und telefoniert mit Fibi auf der Bühne. Sie verabreden sich, um die Langeweile zu beenden und treffen sich an einer anderen Stelle der Bühne. Gleich ist eine ganze Kindergruppe zur Stelle. Die Mädchen und Jungs gehen im Kreis und schlagen die unterschiedlichsten Betätigungen vor, die alle jeweils mit einem lauten „Au ja!“ begrüßt werden, bis schließlich Rose vorschlägt: „Lasst uns klopfen!“ Zuerst haben alle Spaß daran, auf den Boden oder an den Kopf zu klopfen, bis Rose auf die Idee kommt, an die Tür zu klopfen. Sie geht in Zeitlupe auf die Tür zu und ruft: „Lasst uns die Tür erstürmen!“ Entsetzt rufen alle: „Oh nein!“ Doch Rose klopft wirklich. Eine Stimme ertönt: „Kommt herein!“ Die Eltern warnen davor, durch die Tür zu gehen, das sei verboten. Ins Publikum hinein sprechen sie düstere Warnungen aus vor fürchterlichen Monstern mit spitzen Krallen, mit hässlichem Mundgeruch und Giftzähnen, dazu auch noch riesige Spinnen. Daraus entsteht eine Furcht einflößende Drohkulisse. Die beiden Mädchen lassen sich nicht einschüchtern, bleiben cool, sie seien ja keine Kleinkinder mehr. Seien wir mutig! Aber der Schlüssel ist verschwunden.
Jetzt beginnt eine turbulente Suche, auch wenn Fibi noch recht zurückhaltend ist. Alle beschließen, die bisher vergebliche Suche auf dem Dachboden fortzusetzen. Dort entsteht ein langes, wildes Durchwühlen diverser Schachteln und Kartons, bis zu guter Letzt der Schlüssel in einem Karton entdeckt wird, den sich Rose spaßhaft als Schachtelmonster über den Kopf gestülpt hatte. Alle halten die Luft an und rufen gemeinsam: „Der Schlüssel!“ Fibi und Rose treten an die Tür, stecken den Schlüssel ins Loch und öffnen die Tür. Sie gehen hindurch, und die anderen Kinder folgen.
O Wunder! Eine bunte Blumenwiese, Vogelgezwitscher, ein rauschender Wasserfall, ein Flusslauf, in den die Kinder aus Seidentüchern geformte Blüten legen (und ein blaues Tuch wird seitlich von der Bühne gezogen), ein zahmer Fuchs springt über die Bühne, wilder Galopp mit lautem Pferdegetrappel, während die projizierten Umgebungsszenarien vorbeizufliegen scheinen. Ja wahrlich, das muss doch das Paradies sein! Fibi und Rose kommen an einen Baum. Eine Figur reicht mit Schlangenarmen einen Apfel, in den herzhaft hineingebissen wird. Das Geräusch des mehrfachen Abbeißens kommt aus dem Lautsprecher. Das dokumentiert unüberhörbar, der Versuchung erlegen zu sein. Jetzt wird spätestens klar, wo wir uns befinden. Doch der Biss der Erkenntnis hat zunächst keine fatalen Folgen, sondern Mary, die neben dem Baum stand, ist froh über die Gesellschaft und zeigt bereitwillig weitere paradiesische Ecken. Mary macht Handstände, und jedes Mal erscheint eine neue Projektion, aber dabei auch dunkle Höhlen. Schwarze Wände werden hereingeschoben. Ein Bild trostlosen Verlorenseins. Die Wände schließen Fibi und Rose ein. Und die Klage wird laut: „Wer bin ich schon, wenn nichts mehr um mich herum geschieht?“
Die Eltern haben sich auf die Suche nach den Kindern gemacht, sie stehen ratlos an der offenen Tür und rufen verzweifelt die Namen. Die Tür schlägt zu, und die Rufe verhallen. Rose und Fibi schöpfen Hoffnung, da wieder herauszufinden. Durch die waagerechte Bespannung der schwarzen Wände stecken sie mal ihre Hände, dann auch Kopf, Beine und Füße. Endlich ein Durchkommen! Sie beklagen sich bei ihrer Verführerin Mary. Doch die rechtfertigt ihr Handeln, sie wolle doch nur Freundinnen haben. In einem kurzen Gespräch tauschen sich die drei aus über das von Mary angesprochene Nichts ihres eigenen Daseins. Dagegen argumentiert Rose kindlich philosophisch am Beispiel eines leeren Blatts Papier: Wo nichts ist, kann man alles erfinden. Sie malt auf das Blatt einen Wegweiser mit der Aufschrift „Zur Tür“. An der Projektionswand kann das Publikum den Vorgang mitverfolgen. Die drei machen sich sogleich auf den Weg, treten auf der Stelle, dabei geht langsam das Licht der Hintergrundprojektion aus, bis sie an die Tür gelangen und hindurchgehen, nur Mary bleibt zurück. Sie lässt sich erst zum Durchschreiten bewegen, als ihr die Tür vor die Füße geschoben wird. Jetzt steht die Tür wieder da, wo sie zu Beginn stand. Freudiges Wiedersehen mit den erleichterten Eltern. Die nehmen sogleich auch Mary freudig in Empfang. Das verwirrt Fibi und Rose, und sie fragen: „Wer bist du?“ Mary steht in der Mitte, und ihre Gedanken hören wir aus dem Lautsprecher: „Wer ich bin? Diese Frage geht, glaube ich, nicht nur mir durch den Kopf.“ Alle treten an sie heran, messen und untersuchen sie. Mary spricht das Schlusswort: „Es ist nicht so wichtig, wer ich bin! Lasst das!“ Sie deutet ins Publikum: „Du! Und du, und du … . Wir sind hier. Wir sind füreinander da. Und das ist wichtig!“
Die Kinder brachen nicht in ein paradiesisches Schlaraffenland auf, sondern erlebten die unbeschädigte Schönheit von Flora und Fauna, und sie erfuhren, dass sie nur unter deren Bedingungen existieren können. Die Exkursion stärkte die kindliche Zufriedenheit mit den eigenen Lebensumständen im Diesseits als tägliches Geschenk. Es ist schon erstaunlich, wie sie sich über ihr Dasein spielerisch auseinandersetzten und theatral ausagierten. So gelang es ihnen, ihr Anliegen spannend, mit kindlichem Humor, in konzentriertem Zusammenspiel und einem eleganten Spielfluss zu präsentieren. Die bewegliche Bühnengestaltung bekam eine gleichwertige Rolle, die mitspielte. Projektionen weiteten den ohnehin großen Raum, den die Kinder mühelos einnahmen und strukturierten. Eigene Dialoge sprachen sie deutlich und überzeugend, zudem vermochten sie nonverbale Mitteilungen in sprühender Bewegungsfreude auszudrücken.
Dieses Vorhaben, ganz nahe an und mit den Kindern zu entwickeln, zeigt erneut, dass spielgeeignete Themen da sind und nur abgeholt bzw. abgelauscht werden müssen. Dann ist das Theater lebendig, aktuell und nachhaltig. Die 'coolen Socken' stellten das unter Beweis.
Wolfram Brüninghaus
„Die Tür“ - Eigenproduktion der Theatergruppe 'Coole Socken' an der Mittelschule Münnerstadt unter Leitung von Peter Reiß
Da ist eine große Holztür auf der Bühne - sonst gar nichts außer einer Projektionswand. Schon ein Statement, das das Publikum noch vor Beginn des Geschehens auf der Bühne zu unterschiedlichsten Vermutungen anregt: Was verbirgt sich dahinter? Ist sie verschlossen? Wohin führt sie? Oder ist sie eine komödienhafte Auf- und Abtrittskulisse? Auf die Antwort müssen wir noch etwas warten.
Und da steht das Mädchen Fibi im grellen Scheinwerferspot und spricht: „Manchmal verfolgt mich dieser eine Gedanke 'Wer bin ich?'“ Aus dem Lautsprecher hören wir seine Gedanken. Keine Angst! Schnell ist eine befürchtete existenzialistische, ausholende Fragenauslotung beendet. Denn andere Kinder treten heran und stellen augenzwinkernd anhand des Ausweises die Personalien fest, die Haarfarbe grün, Haut schuppig, Augenfarbe gelb, sie messen die Körpergröße aus (3,60 m) und die Schuhgröße (43), der Kleidungsstil sei cool und schließlich liest noch eine Wahrsagerin die Zukunft aus der Hand. O weh! Nach diesem launigen Exkurs hören wir aus dem Lautsprecher gedankliche Einwände, das stimme schon alles, aber unbeantwortet bliebe immer noch die Frage: „Wer bin ich, wenn ich mich einsam fühle und alleine bin?“
Fibi sitzt gelangweilt da und spielt mit ihrem Handy. Da! Ein deutlicher Klingelton im Publikum. Rose steht auf und telefoniert mit Fibi auf der Bühne. Sie verabreden sich, um die Langeweile zu beenden und treffen sich an einer anderen Stelle der Bühne. Gleich ist eine ganze Kindergruppe zur Stelle. Die Mädchen und Jungs gehen im Kreis und schlagen die unterschiedlichsten Betätigungen vor, die alle jeweils mit einem lauten „Au ja!“ begrüßt werden, bis schließlich Rose vorschlägt: „Lasst uns klopfen!“ Zuerst haben alle Spaß daran, auf den Boden oder an den Kopf zu klopfen, bis Rose auf die Idee kommt, an die Tür zu klopfen. Sie geht in Zeitlupe auf die Tür zu und ruft: „Lasst uns die Tür erstürmen!“ Entsetzt rufen alle: „Oh nein!“ Doch Rose klopft wirklich. Eine Stimme ertönt: „Kommt herein!“ Die Eltern warnen davor, durch die Tür zu gehen, das sei verboten. Ins Publikum hinein sprechen sie düstere Warnungen aus vor fürchterlichen Monstern mit spitzen Krallen, mit hässlichem Mundgeruch und Giftzähnen, dazu auch noch riesige Spinnen. Daraus entsteht eine Furcht einflößende Drohkulisse. Die beiden Mädchen lassen sich nicht einschüchtern, bleiben cool, sie seien ja keine Kleinkinder mehr. Seien wir mutig! Aber der Schlüssel ist verschwunden.
Jetzt beginnt eine turbulente Suche, auch wenn Fibi noch recht zurückhaltend ist. Alle beschließen, die bisher vergebliche Suche auf dem Dachboden fortzusetzen. Dort entsteht ein langes, wildes Durchwühlen diverser Schachteln und Kartons, bis zu guter Letzt der Schlüssel in einem Karton entdeckt wird, den sich Rose spaßhaft als Schachtelmonster über den Kopf gestülpt hatte. Alle halten die Luft an und rufen gemeinsam: „Der Schlüssel!“ Fibi und Rose treten an die Tür, stecken den Schlüssel ins Loch und öffnen die Tür. Sie gehen hindurch, und die anderen Kinder folgen.
O Wunder! Eine bunte Blumenwiese, Vogelgezwitscher, ein rauschender Wasserfall, ein Flusslauf, in den die Kinder aus Seidentüchern geformte Blüten legen (und ein blaues Tuch wird seitlich von der Bühne gezogen), ein zahmer Fuchs springt über die Bühne, wilder Galopp mit lautem Pferdegetrappel, während die projizierten Umgebungsszenarien vorbeizufliegen scheinen. Ja wahrlich, das muss doch das Paradies sein! Fibi und Rose kommen an einen Baum. Eine Figur reicht mit Schlangenarmen einen Apfel, in den herzhaft hineingebissen wird. Das Geräusch des mehrfachen Abbeißens kommt aus dem Lautsprecher. Das dokumentiert unüberhörbar, der Versuchung erlegen zu sein. Jetzt wird spätestens klar, wo wir uns befinden. Doch der Biss der Erkenntnis hat zunächst keine fatalen Folgen, sondern Mary, die neben dem Baum stand, ist froh über die Gesellschaft und zeigt bereitwillig weitere paradiesische Ecken. Mary macht Handstände, und jedes Mal erscheint eine neue Projektion, aber dabei auch dunkle Höhlen. Schwarze Wände werden hereingeschoben. Ein Bild trostlosen Verlorenseins. Die Wände schließen Fibi und Rose ein. Und die Klage wird laut: „Wer bin ich schon, wenn nichts mehr um mich herum geschieht?“
Die Eltern haben sich auf die Suche nach den Kindern gemacht, sie stehen ratlos an der offenen Tür und rufen verzweifelt die Namen. Die Tür schlägt zu, und die Rufe verhallen. Rose und Fibi schöpfen Hoffnung, da wieder herauszufinden. Durch die waagerechte Bespannung der schwarzen Wände stecken sie mal ihre Hände, dann auch Kopf, Beine und Füße. Endlich ein Durchkommen! Sie beklagen sich bei ihrer Verführerin Mary. Doch die rechtfertigt ihr Handeln, sie wolle doch nur Freundinnen haben. In einem kurzen Gespräch tauschen sich die drei aus über das von Mary angesprochene Nichts ihres eigenen Daseins. Dagegen argumentiert Rose kindlich philosophisch am Beispiel eines leeren Blatts Papier: Wo nichts ist, kann man alles erfinden. Sie malt auf das Blatt einen Wegweiser mit der Aufschrift „Zur Tür“. An der Projektionswand kann das Publikum den Vorgang mitverfolgen. Die drei machen sich sogleich auf den Weg, treten auf der Stelle, dabei geht langsam das Licht der Hintergrundprojektion aus, bis sie an die Tür gelangen und hindurchgehen, nur Mary bleibt zurück. Sie lässt sich erst zum Durchschreiten bewegen, als ihr die Tür vor die Füße geschoben wird. Jetzt steht die Tür wieder da, wo sie zu Beginn stand. Freudiges Wiedersehen mit den erleichterten Eltern. Die nehmen sogleich auch Mary freudig in Empfang. Das verwirrt Fibi und Rose, und sie fragen: „Wer bist du?“ Mary steht in der Mitte, und ihre Gedanken hören wir aus dem Lautsprecher: „Wer ich bin? Diese Frage geht, glaube ich, nicht nur mir durch den Kopf.“ Alle treten an sie heran, messen und untersuchen sie. Mary spricht das Schlusswort: „Es ist nicht so wichtig, wer ich bin! Lasst das!“ Sie deutet ins Publikum: „Du! Und du, und du … . Wir sind hier. Wir sind füreinander da. Und das ist wichtig!“
Die Kinder brachen nicht in ein paradiesisches Schlaraffenland auf, sondern erlebten die unbeschädigte Schönheit von Flora und Fauna, und sie erfuhren, dass sie nur unter deren Bedingungen existieren können. Die Exkursion stärkte die kindliche Zufriedenheit mit den eigenen Lebensumständen im Diesseits als tägliches Geschenk. Es ist schon erstaunlich, wie sie sich über ihr Dasein spielerisch auseinandersetzten und theatral ausagierten. So gelang es ihnen, ihr Anliegen spannend, mit kindlichem Humor, in konzentriertem Zusammenspiel und einem eleganten Spielfluss zu präsentieren. Die bewegliche Bühnengestaltung bekam eine gleichwertige Rolle, die mitspielte. Projektionen weiteten den ohnehin großen Raum, den die Kinder mühelos einnahmen und strukturierten. Eigene Dialoge sprachen sie deutlich und überzeugend, zudem vermochten sie nonverbale Mitteilungen in sprühender Bewegungsfreude auszudrücken.
Dieses Vorhaben, ganz nahe an und mit den Kindern zu entwickeln, zeigt erneut, dass spielgeeignete Themen da sind und nur abgeholt bzw. abgelauscht werden müssen. Dann ist das Theater lebendig, aktuell und nachhaltig. Die 'coolen Socken' stellten das unter Beweis.
Wolfram Brüninghaus